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09.2024

BVI-Analyse zu Fondsentnahmeplänen: Zu schön, um wahr zu sein!


Der BVI hat vergangene Woche eine Analyse zu Fondsentnahmeplänen vorgelegt, die beweisen soll, dass auch Fondsentnahmepläne (ohne die Garantie eines lebenslangen Einkommens) geeignet seien, den Lebensstandard im Alter abzusichern. Da dies von manchen Journalisten als Beleg aufgefasst wurde, dass unsere Analysen zum Risiko von Fondsentnahmeplänen (Kapitel 5 unserer Studie) fehlerhaft seien, möchten wir die BVI-Analyse an dieser Stelle kommentieren.

Auf den ersten Blick scheint die BVI-Analyse Folgendes zu zeigen: Wenn man aus dem Fondsentnahmeplan denselben Betrag entnimmt, den man aus einer lebenslangen Rente eines Versicherers erhält, dann reicht das Geld mit einer Wahrscheinlichkeit von über 95% lebenslang und in den meisten Fällen bleibt sogar noch Geld übrig, das an die Hinterbliebenen vererbt werden kann. Das kling fast zu schön, um wahr zu sein. Leider sehen die Ergebnisse zwar für die Öffentlichkeitsarbeit schön aus, basieren aber auf Annahmen, die dermaßen unplausibel sind, dass dies den Studienautoren bewusst gewesen sein muss. Die vollkommen unplausiblen Annahmen betreffen dabei viele Bereiche. Die wichtigsten betreffen die Entnahmehöhe, die Fondsrendite, das Fondsrisiko und die Lebenserwartung der Anleger.

Fondsrendite überschätzt

Der BVI unterstellt, dass die Anleger in einen Fonds investieren, der zu 70% aus Rentenpapieren und zu 30% aus Aktien besteht. Um die Chancen und Risiken zu analysieren, wurden zufällige mögliche Entwicklungen eines solchen Fonds simuliert. Zur Simulation wurde ein sogenannter Bootstrap-Ansatz verwendet. Dies kann man sich so vorstellen, dass historisch beobachtete Renditen für den Renten- bzw. den Aktienanteil in je einen Topf geworfen werden. Aus diesen beiden Töpfen werden nun zufällig Renditen gezogen und aneinandergereiht, um eine mögliche zukünftige Entwicklung des Fonds zu bestimmen. Wenn man sehr viele solche möglichen zukünftigen Entwicklungen erzeugt, können hieraus Aussagen über Wahrscheinlichkeiten zukünftiger Renditen und Wertverläufe getroffen werden.
Für den Rentenanteil des Fonds wurden vom BVI hierbei die Renditen des REXP Index aus den Jahren 1987 bis 2023 verwendet. Dieses Vorgehen überschätzt für den Rentenanteil des Fonds aber das Renditepotenzial massiv. Denn in den Jahren von 1987 bis 2023 sind die Zinsen stark gefallen. Diese fallenden Zinsen haben Kursgewinne von Rentenpapieren verursacht, die für die Zukunft nicht mehr realistisch sind. Durch diese Vorgehensweise geht der BVI implizit davon aus, dass der verwendete Fonds trotz des niedrigen Aktienanteils von nur 30% dennoch eine Renditeerwartung von 6% vor Kosten aufweist.

Risiko des Fonds unterschätzt

Ergänzend – wenn auch mit geringerem Einfluss auf das Ergebnis – sei erwähnt, dass bei dem verwendeten Bootstrap-Ansatz die Renditen des Aktienanteils und des Rentenanteils unabhängig voneinander aus den beiden Töpfen gezogen werden. Die Korrelation zwischen Aktien und Renten wird dadurch auf 0 gesetzt, sodass der Diversifikationseffekt zwischen Aktien und Renten überschätzt und dadurch das Risiko des Fonds unterschätzt wird.

Entnahmehöhe zu niedrig

Es wird unterstellt, dass die anfängliche Entnahmehöhe nur der garantierten (!) Rente entspricht, die Versicherer bei einer lebenslangen Rentenversicherung anbieten. Dies ist als Vergleichsgröße völlig ungeeignet. Wenn der BVI den Entnahmeplan mit typischen Versicherungsprodukten vergleichen möchte, dann muss die Gesamtrente (inklusive Überschüsse) als Vergleichsmaßstab hergezogen werden.
Eigentlich wäre sogar ein ganz anderer Vergleichsmaßstab sinnvoll, denn die BVI-Studie steht offensichtlich im Kontext der aktuellen Diskussion um die Nachfolge der Riesterrente. Derzeit ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber hierbei Fondsentnahmepläne, die auf Endalter 85 kalkuliert sind, als gleichberechtigte Alternative zu einer lebenslangen Rentenversicherung zulassen wird. Wir erwarten daher, dass in diesem Segment primär Produkte angeboten und nachgefragt werden, bei denen die Entnahmehöhe so kalkuliert ist, dass sie „planmäßig“ bis Alter 85 reicht. Es würde dann also monatlich deutlich mehr entnommen als in der aktuellen BVI-Analyse unterstellt. Dann ist aber auch das Risiko, länger zu leben als das Geld reicht, naturgemäß deutlich höher (was wir auch in unserer oben genannten Studie gezeigt haben)!

Zu hohe Sterbewahrscheinlichkeiten angesetzt

In Bezug auf die Sterbewahrscheinlichkeiten ist das Vorgehen des BVI ebenfalls besonders drastisch. Zum einen werden so genannte Periodensterbetafeln verwendet. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass kein zukünftiger medizinischer Fortschritt unterstellt wird. Für einen heute 65-jährigen Menschen wird unterstellt, dass er in 20 Jahren als 85-jähriger dieselbe Sterbewahrscheinlichkeit aufweist wie ein heute 85-jähriger. Für einen 35-jährigen Anleger, der vielleicht erst in 30 Jahren in Rente geht, wird unterstellt, dass dieser in 30 bzw. 50 Jahren dieselbe Sterbewahrscheinlichkeit aufweist, die ein heute 65- bzw. 85-jähriger Mensch aufweist. Dadurch wird die Lebenserwartung der Anleger unterschätzt. Aufgrund des medizinischen Fortschritts werden Menschen nämlich aller Voraussicht nach länger leben als vom BVI angenommen.
Erschwerend kommt hinzu, dass als Sterbewahrscheinlichkeiten ausgerechnet die Werte aus den Corona-Jahren 2020-2022 verwendet wurden. Die Berechnungen des BVI unterstellen also, dass die Anleger ihr komplettes Rentnerleben unter pandemischen Bedingungen verbringen.
Das Risiko, länger zu leben als das Geld reicht, wird vom BVI insgesamt also stark unterschätzt.

Welche Diskussion wir eigentlich führen müssten

Trotz der notwendigen Kritik an dieser für die Lobby-Arbeit optimierten Studie, gibt es keinen Zweifel, dass Fondsentnahmepläne sinnvolle Produkte sind. Auch in der Altersvorsorge bzw. in der Ruhestandsplanung. Aber eben nicht zur Finanzierung lebenslanger Grundbedürfnisse und des lebenslang gewünschten Lebensstandards. Dies wird dadurch belegt, dass der BVI derart unplausible Annahmen treffen muss, um zu argumentieren, dass Fondsentnahmepläne auch zu diesem Zweck geeignet seien.
Aber (und hierüber sollten wir eigentlich diskutieren) auch bei der Finanzierung lebenslanger Grundbedürfnisse und des lebenslang gewünschten Lebensstandards sollten renditestarke Fonds in Zukunft unbedingt eine größere Rolle spielen als bisher. Dies wäre möglich im Rahmen von Rentenversicherungen, die auch im Rentenbezug noch fondsgebunden sind. Hier sorgt der Versicherer über kollektiven Risikoausgleich dafür, dass jeder Versicherte seine vereinbarte Rentenleistung bis zum Tod erhält. Das Geld der Versicherten ist aber (zumindest teilweise) in Fonds angelegt, was das Renditepotenzial erhöht. Wenn man solche Produkte klug designt, weisen sie eine attraktive Anfangsrente und eine attraktive erwartete Rente auf (und einen besseren Inflationsschutz als klassische Renten). Gleichzeitig haben sie nicht das Risiko, dass bei langem Leben irgendwann das Geld ausgehen kann. Allerdings kann die Rente solcher Produkte auch schwanken. Bei der Riesterrente sind sie bisher leider ausdrücklich nicht zugelassen.

Warum machen sich die Fonds- und die Versicherungsbranche nicht gemeinsam für solche Produkte stark, statt die aktuelle, aus fachlicher Perspektive völlig sinnlose Diskussion mit ungeeigneten Argumenten weiterzuführen? Wenn sich diese Produkte durchsetzen, haben beide Branchen ein Stück vom Kuchen. Und vor allem würde man über sinnvolle Lösungen für die Kunden diskutieren!


Weitere Informationen:

Prof. Dr. Jochen Ruß

Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften
Max-Born-Str. 12
89081 Ulm

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